Der Auslöser: Sie geht mit jemand anderem Kuchen essen. Und das, nachdem wir gemeinsam für einen Rage Club Raum gehalten haben. Dass sie von mir die Information hatte, dass ich danach noch auf einen Besuch gehe und keine Zeit habe, war mir bewusst und dennoch hat es mich getroffen. Ich war im Moment, in dem klar wurde, dass sie mit einer Teilnehmerin Kuchen essen geht, nicht in der Lage mitzuteilen, dass ich mitwollte. Ich habe mich zusammengerissen, habe so getan, als wäre alles gut und kaum hat sich die Türe hinter den beiden geschlossen, habe ich losgeheult. Es tat so weh. Und ich war alleine. Die Heftigkeit meiner Emotionen hat mich erstaunt. Auf der einen Seite konnte ich ihnen Raum geben und mit mir in diesem Schmerz sein. Es war mir klar, dass etwas Altes in Schwingung versetzt wurde und in meinem Hirn die Alarmglocken angingen. Ich konnte beobachten, wie sich alles in mir zusammenzog und ich mich nur noch verkriechen wollte. Ein bekanntes Muster. Und ich war in der Lage zu wählen: Ich wählte nicht alleine zu bleiben und meldete sich bei zwei Freundinnen. Die eine hat mich sofort angerufen und hat mir Raum gehalten, um zu forschen, welcher alte Schmerz aktiviert wurde. Ich kam zu einem Moment in meinem Leben, in welchem ich als Kleinkind alleine zu Hause war. Ich fühlte die Angst, alleine und schutzlos zu sein, ohne Hilfe nicht überleben zu können. Ich fühlte die Traurigkeit, alleine gelassen zu sein und niemandem wichtig genug, der sich um mich kümmert. Ich fühlte auch Wut darüber und fand es gar nicht ok, alleine gelassen zu werden. Damals ging es in meinem Erleben um Überleben. Ich musste eine Möglichkeit finden, mit dem Schmerz umzugehen. Und ich begann eine Geschichte über mich zu erzählen: Offenbar war etwas falsch mit mir, oder ich habe was falsch gemacht, oder ich war einfach nicht wichtig, nicht liebenswert und so weiter. In diesen Momenten nach dem Wutraum öffnete sich eine Pandorabüchse und alles Dunkle tauchte in meinem Bewusstsein auf. Mit einem Fuss identifizierte ich mich mit der sogenannt verwundeten Identität, der Begründung weshalb in meinem Leben alles! schief läuft und weshalb das für immer und ewig so bleiben würde.
Die verwundete Identität: Im Possibility Coaching gehe ich davon aus, dass wir alle Situationen erlebt haben, in denen wir von unseren Gefühlen überwältigt waren und noch keine Ressourcen hatten, damit zielführend umzugehen. Solche Situationen können, je nach Ausmass traumatisch bezeichnet werden, weil sie eine Spur in unserem Nervensystem hinterlassen. Diese Spur kann aktiviert werden, wenn später im Leben eine Situation eintritt, die eine Ähnlichkeit mit der vergangenen Situation hat. Unsere Reaktion auf die aktuelle Situation ist dann unverhältnismässig und mechanisch. Gleichzeitig hatte diese Reaktion für lange Zeit eine wichtige Funktion: Sie hat das Überleben ermöglicht! Und ich habe damals einen Weg gefunden zu überleben. Vielleicht hat es mir geholfen, eine Entscheidung zu treffen, die mir die Welt erklärt, oder ich habe eine energetische Blockade in mein System eingebaut, um mich anpassen zu können. Was es auch war, es hat mir lange Zeit gedient. Als erwachsene Frau erkenne ich womöglich, dass diese – auf einer lange vergangenen Situation beruhende – Geschichte heute nicht mehr dienlich ist. Es ist die Geschichte einer verwundeten Identität. Eine Geschichte, die mir erzählt, dass ich auf irgendeine Weise unzulänglich, verwundet, gebrochen oder kaputt bin. Und dass dies der Grund ist, für das, was nicht wie gewünscht verläuft.
Das Gefängnis in mir: Die Kunst ist, mir bewusst zu sein, was gerade passiert, so dass ich mich nicht damit identifiziere und die Geschichte glaube, die gerade aktiv ist. Zugegebenermassen ist dies nicht immer ganz einfach. Nach 2 Jahren intensivem Possibility Coaching mit dem Fokus auf Dekontamination kommt es mir zurzeit wie eine Erstverschlimmerung vor: «Was? Das alles passiert in mir?! Wow? Das ist das, was ich kreiere?!» Bisher war ich es mir einfach nicht bewusst und habe im roten Bereich gedreht und irgendwie funktioniert, bis ich wieder ‘zu mir’ gekommen bin. Und die Zuversicht ist, dass ich immer schneller lerne, zurück zu mir zu kommen oder mich nicht mehr zu verlassen und bei mir zu bleiben. Dass dies eines etwas längeren Weges bedarf, ist auch eine Geschichte – in meinem Falle eine zutreffende. Die neue Geschichte, die sich mir heute auftut ist, dass ich in den vergangenen Jahren sehr viele Ressourcen aufgebaut habe, die mir erlauben, zu bleiben, wenn es innerlich brennt. Ich erachte Gefühlsarbeit als zentrales Element dabei. Indem ich gelernt habe, meine Gefühle zu fühlen und auszudrücken, ist immer mehr Raum in mir entstanden. Der erwünschte Raum zwischen Reiz und Reaktion zeigt sich mir tatsächlich als aufgeräumte Geräumigkeit in mir. Ich weiss wo welche Geschichten zu Hause sind und ich weiss wohin ich meinen Aufmerksamkeitsstrahl richten kann, um mich mit der Geschichte zu indentifizieren, dass Verbundenheit immer schon da ist und dass ich zwar einsam und alleine bin aber mehr im Sinne einer Ein-Sam-igkeit und einer All-Einsheit. Alles andere ist ein selbstgemachtes Gefängnis. Es sind Geschichten, die sich aufgrund unverarbeiteter und überwältigender Erfahrungen im Geist sedimentiert haben. Mit meiner Aufmerksamkeit tauche ich immer mal wieder in diesen Opfersumpf und leide, mache mich klein, quäle mich mit Selbstzweifeln, zähle mir alles auf, was nicht funktioniert. Mittlerweile weiss ich, dass ich nicht alleine damit bin. Und ich rechne damit, dass mich dies auch bis ans Ende meiner Tage begleiten wird. Vielleicht abgeschwächt und schneller erkannt. Es ist eine tägliche Übung, eine Praxis. Ich entscheide, welche Geisteszustände ich kultivieren will. In diesem Zusammenhang hilft mir auch eine tägliche Achtsamkeitspraxis. Ebenso zentral ist die Haltung eine Experimentiererin zu sein.
Experimentieren: Ich probiere neue Sachen aus und mache Experimente. Ich prüfe was wie funktioniert und mache gelebte Erfahrungen. Peter Senge hat es in einem TED Talk folgendermassen ausgedrückt: Unser Neuronales System ist auf Komfort ausgerichtet – unsere Seele auf Wachstum. Wachstum heisst, aus der Komfortzone herauszutreten. Räume für Rage Clubs und Healing Void zu halten, ist definitiv ausserhalb meiner Komfortzone. Und ich bin daran gewachsen. Ich habe neue Möglichkeiten gefunden, meinen Alltag zu gestalten. Im kleinen Hier und Jetzt hat es keinen Platz für Geschichten. Dann bin ich jenseits des entweder oders - positiv oder negativ - Sumpf oder Fantasiewelt - Vase oder zwei Gesichter. Unter anderem nutze ich meine Wut, um der Verlockung, in der Komfortzone zu bleiben, zu widerstehen und etwas zu tun, was ich noch nie gemacht habe. Wie zum Beispiel einen Newsletter zu schreiben. Inzwischen schiebe ich diese Idee seit Monaten vor mir her. Weshalb ich gerade jetzt den Mut habe, ihn zu schreiben und vor allem auch zu versenden, weiss ich nicht. Transformation ist eine nichtlineare Angelegenheit und ich freue mich auf weitere Entdeckungen.

Comments